„Klein
Nepal“ - das war das Erste, was mir in den Sinn kam, als wir über die Dächer
von Dana Village geblickt hatten. Das Dorf, zentrale Station für den Öko-Tourismus
im größten Naturschutzgebiet Jordaniens, liegt einsam eingebettet in Bergen.
Eisiger Wind, der vom Hörensagen ähnlich in den Himalaya-Regionen schneidig
weht, ein Gasthaus mit zugigem Versammlungsraum, spürbar nicht durch einen Ofen
und ein beachtliches Ofenrohr gewärmt, mit steinernen Sitzbänken entlang der
Wände mit rot-schwarz gemusterten Decken und Kissen und eine kleine asiatisch
aussehende Frau, die uns Tee brachte und später das Essen servierte,
verstärkten den Eindruck.
Ja,
ihr habt richtig gelesen: eisiger Wind und dazu immer wieder Regen begleiteten
uns während des Tages. Laut meinem Reiseführer »lonley planet - Jordanien« ist
das Naturschutzgebiet Dana am schönsten im Frühjahr oder im Herbst, »der Winter
kann bitterkalt werden.« Ich muss der sehr guten Autorin widersprechen: Der
Frühling kann bitterkalt sein. Ich, ansonsten keine Frostbeule, ausgestattet
mit Kleidung à’la »Jordanien liegt im Nahen Osten, da ist es warm.« hatte geschlottert.
Vor
ca. 30 Jahren wurde das Dorf von seinen Bewohnern verlassen. Leichter
zugängliche Ortschaften, in denen es Wohnungen mit Stromanschluss, Ärzten und
Schulen und vor allem Arbeit gibt, gewannen den Kampf gegen Stille, umwerfende
Landschaft und Einsamkeit. 4 Millionen Dollar hat es sich eine amerikanische
Stiftung kosten lassen, dass Dana Village wieder aufgebaut wird. Die
Organisation RSCN (Royal Society for the Conservation of Natur) betreut
Projekte, die Menschen zurückholen und ein Einkommen verschaffen, ohne ihre
traditionelle Lebensweise zu bedrohen.
Noch
aber mutet Dana Village eher wie eine Filmkulisse an - der Hort von Träumen und
Sehnsüchten. Die Menschen auf der staubigen Straße, die holprig einem steilen
Abhang durch zerfallene Häuser und über einen ebensolchen staubigen Dorfplatz
führt, wirkten auf mich wie Statisten. Das Dorfleben, das ich durch die
milchigen oder zerborstenen Fenster des Restaurants, das zum ersten Haus am
Platze, dem »Dana Tower« gehört, beobachten konnte, kam einem einstudierten
Theaterstück für Touristen gleich: Familien begrüßten sich vor der Moschee.
Mütter richteten die Kleider ihrer Kinder und strichen die Haare zurecht. Nach
dem Gebet betraten Männer den Raum, in dem wir Tee tranken und auf unser
Mittagessen warteten, rauchten, unterhielten sich und debattierten. An den zerfallenen
Häusern wurden die Arbeiten wieder aufgenommen. Einer schleppte Wasserkanister,
ein Anderer fuhr Felsbrocken in einer Schubkarre.
Das
»wirkliche« Leben findet dem Auge nach nur beschränkt auf den Tourismus statt:
moderne Schilder an Ruinen und bröckelnden Hausecken, die auf Hotels und
Pensionen und geführte Wanderungen hinweisen. Die Natur erobert nach und nach
die umliegenden Terrassenfelder zurück, auf denen Generationen zuvor Pistazien,
Mandeln, Granatäpfel, Zitronen, Walnüsse und Äpfel anbauten.
Laut
Reiseführern und -berichten ist Dana DAS Ziel schlechthin zum Wandern in
Jordanien. Das Bioreservat erstreckt sich von den Sandsteinklippen bei Dana Village
über 1.700 Höhenmeter bis zum Toten Meer. Um die etwa 600 Pflanzenarten, 180
Vogelarten und über 45 Säugetierarten zu schützen, ist es nur wenigen Beduinenfamilien
und nur zu vorgegebenen Zeiten erlaubt, mit ihren Schafen und Ziegen durch die
Felsmassiven und Täler zu ziehen.
Nach
einem einfachen, frisch zubereiteten - da mit uns nicht gerechnet worden war -
und köstlichen Mittagessen in dem kalten, spartanisch eingerichteten und
trotzdem urgemütlichen Speiseraum, in den man über wacklige Treppen gelangt,
traten auch wir eine Wanderung an.
Susi
(Name geändert) zeigte mehr Weitblick, als ich ihn hatte. Nach wenigen
Schritten auf dem Pfad, der in die wilde Berglandschaft führt, brach sie ab und
verbrachte anders als ich einen entspannten Nachmittag. Ich quälte mich
todbringenden Gefällen, die atemberaubende Panoramen boten, weißen und roten
Felsen entlang. Laut der Reisebeschreibung von »Djoser« und Mahmoud waren für
die Wanderung 2 Stunden angesetzt. Gefühlt hatte sie Tage und Nächte gedauert.
Ein
ehemaliger Elitesoldat der jordanischen Streitkräfte war unser Guide. Chalid.
Ein
Mann, so wie ihn sich die mit Felsen und engen Schluchten vollkommen
überforderte
Er
war bei Auf- und Abstiegen immer zur Stelle, half und redete gut zu. Sein
„schwei-schwei“, arab. für ‚langsam’ und „here no doctor“ hallten noch Wochen
in meinen Ohren. Und auch jetzt während des Schreibens. Ich muss auch grinsen,
bei den Bildern von mir im Kampf gegen die Elemente. Ich glaube, ich hatte eine
recht dämliche Figur abgegeben.
Auf
einer kleinen Lichtung, im Schatten rot und ocker marmorierter Felsen, legten
wir eine
längere Pause ein.
Chalid suchte nach trockenem Gestrüpp und baute aus
Steinen und einem Ast eine Vorrichtung, an die er den Kessel hängte, aus dem
nach geraumer Zeit verheißungsvoller Dampf stieg.
An Entspannung war für mich aber
nicht zu denken. Mir erschloss sich anders als meinen Mitreisenden nicht das
Paradies, in dem wir uns befanden. Meine Gedanken hingen an steilen Abhängen,
hohen, niedrigen und glatten Steinen, die noch auf dem Weg zwischen mir und
unserem Bus zu bewältigen waren. Ich hegte bisweilen arge Zweifel, ob wir ihn
tatsächlich irgendwann erreichen würden.
Doch
dann hatte ich es hinter mir. Die fleischgewordene Pädagogin Urschl stellte die
dümmste Frage, die jemand stellen kann, wenn ein anderer erschöpft und keuchend
auf allen Vieren sein Ziel erreicht hat: „Wie fühlst du dich?“
Wenn
ich mich nicht so dermaßen ausgekotzt gefühlt hätte, hätte ich ihr schon eine
passende Antwort gegeben. Aber ich schmiss sogar meine Zigarette nach zwei
Zügen weg und entgegnete ihr mit dem fränkischen ‚Wie bitte?’ – Übersetzung: „Hä?“
Sie
war der Meinung, dass ich eine Herausforderung angenommen und etwas Großartiges
geleistet hätte, auf das ich stolz sein könnte. Während des Monologs verlangsamte
sich mein Herzschlag, die Schnappatmung ließ nach, der kalte Schweiß trocknete
und ich gewann meine Sinne und meine Stimme zurück.
O-Ton:
„Ich brauche keine Herausforderungen, die ich bewältigen kann. Ich bin mir
selbst genug.“
P.S.: Ich bin kein grammatikalisches Genie und in diesem Post sehr unsicher betreffend "hatte" und "habe". Wenn ich die Zeiten also falsch angewandt habe, bitte ich um Verzeihung und ggf. um einen Hinweis, wie's richtig gehört.
Wow tolle Bilder Julia! Ich hab irre Respekt vor den glatten Felsen... und vor Dir. Was gabs den für Tee? Oder hast Du gar nicht probiert?
AntwortenLöschenich drück Dich, Tina
Klar hab ich probiert. Es gab schwarzen Tee.
AntwortenLöschenAn den Teestationen gab es meistens schwarzen Tee pur oder mit Gewürzen oder Minztee.