Mittwoch, 15. Juli 2015

Einigung im Atomstreit mit dem Iran

Kennt ihr noch die »Klo-Sprüche« der 80er Jahre?
Am geilsten fand ich immer »Freiheit für die Gummibärchen - weg mit den Tüten« und
»Stellt euch vor, es ist Krieg und keiner geht hin.«
An Aktualität kaum zu übertreffen.

Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich in vielen Politikern kein Vertrauen habe. Auf dem Weg nach oben verliert sich oft die Moral, die karrierenhinderlich ist, und es tritt der Narzissmus zu Tage, der Motor für eine Karriere.
Umso überraschter war ich, als sich im April dieses Jahr die UN-Veto-Mächte (USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich) und Deutschland in Lausanne mit dem Iran auf Eckpunkte für einen Vertrag einigten, der den Atom-Streit beenden sollte. Ich dachte, "Unglaublich!" 13 Jahre begleitet mich dieser Streit unbewusst und bewusst. Nun bestand doch tatsächlich Hoffnung, dass er beendet wird.
Gestern nährte sich meine Hoffnung noch einmal. In Wien zeigte der iranische Außenminister Sarif auf dem Balkon des Coburg-Palastes ( :-) !) in Wien einen Teil des Vertragsentwurfes.

Ich lasse jetzt mal dahingestellt, inwieweit wirtschaftliche Interessen für diesen »Friedensschluss« vordergründig waren. Es ist einfach ein beruhigendes Gefühl, wenn Politiker eine militärische Auseinandersetzung nicht als das Allheilmittel sehen. Besonders Barack Obama rechne ich es hoch an, dass er anders als seine Vorgänger auf Dialog gesetzt hat und sich nicht durch die Dämonisierung von Medien und Politikern hat einnehmen lassen.

Für Benjamin Netanjahu müssen sich allerdings alle Hoffnungen zerschlagen haben. Das Abkommen bezeichnet er als einen "Fehler historischen Außmaßes".
Er hat sich im März dieses Jahres soviel Mühe gegeben, die USA für einen Militärschlag gegen den Iran zu begeistern. Und nix war’s.  Im Gegenteil, der große Bruder, der immerwährende Unterstützer, die große USA positionierte sich - meines Wissens nach, für Aufklärung bin ich dankbar - erstmals gegen Israel.

In Kommentaren zum Haaretz-Artikel wird Benjamin »Bibi« Netanjahu als »one trick pony«, ein Zirkuspony, bezeichnet, das zwei Tricks beherrscht: mit den Ängsten seiner Landsleute spielen und Krieg führen.
Immer verweist Netanjahu auf die Leiden der Juden während aller Epochen und darauf, dass die Iraner die neuen Nazis sind, die die Juden vernichten wollen. In seinen Reden erwähnt er oft das Buch Esther, in dem es um die Rettung der persischen Juden von dem persischen Minister Haman geht, der vorhatte, sie auszulöschen. - Das Buch endet mit dem Massenmord, den Juden an den Persern begingen. - Er erwähnt aber nie Cyrus den Großen, der den jüdischen Gefangenen erlaubte, nach Jerusalem zurückzukehren. - (Entnommen aus den Texten von Uri Avnery, israelischer Journalist, Schriftsteller und Friedensaktivist, in drei Legislaturperioden Parlamentsabgeordneter in der Knesset.)
Die Rede vor dem US-Kongress, die Barak Obama hatte verhindern wollen und von den Republikanern ermöglicht wurde, enthielt kein Wort über die Palästina-Frage, über den Frieden und kein Wort über Israels eigene Atom-Technologie und auch nicht über eine nuklearwaffenfreie Region mit gegenseitiger Inspektion. Vielmehr bezeichnete Bibi mit blumigen Worten Obama und John Kerry als Idioten. Alternativen zu den Fragen, die Israels Überleben betreffen, bot er nicht an.
Für Bibi und seinem (zwischenzeitlich zurückgetretenen) Außenminister Avigdor Liebermann gibt es auch keine Alternativen, außer Militärschläge und die totale Zerstörung der Nachbarn.
Blöd nur, dass sich nicht nur Vertreter der Weltmächte, sondern auch ehemalige israelische Militär- und Nachrichtendienstchefs, wie etwa Benny Gantz, der im März d.J. von seinem Amt zurückgetreten ist, sich gegen einen Krieg gegen den Iran aussprechen.


Oben bin ich kurz auf wirtschaftliche Interessen zusprechen gekommen, die den Deal mit dem Iran beeinflusst haben könnten. Außer Acht lassen kann ich sie bei aller Euphorie ob der integren Politiker nicht.
Bei einer Militäroperation gegen den Iran würde mit absoluter Sicherheit die Straße von Hormus - eine wenige Seemeilen breite Meerenge, die den Persischen Golf mit dem Golf von Oman, dem arabischen Meer und dem Indischen Oziean verbindet - geschlossen werden. Etwa 35% des Erdöls der Welt werden hier verschifft. Ein (weltweiter) wirtschaftlicher Zusammenbrauch wäre die Folge.
Um die Straße von Hormus wieder zu öffnen und offen zu halten, wäre ein Landkrieg unabdingbar. Eine Vorstellung, die die kriegsbegeisterten US-Republikaner erschaudern lässt, die bei der kommenden Präsidentschaftswahl auf die Stimmen eines kriegsmüden Volkes hoffen.


Ich glaube, heute ist Bibi einer der einsamsten Menschen auf dieser Welt. Niemand hört ihn, wenn er die Welt vor dem BÖSEN warnt, vor den Monstern, die es führen, vor den weltweiten (iranischen) Terroristen. Er warnt vor interkontinentale Raketen, die vielleicht einmal gebaut werden wollten und Israel und sogar die USA auslöschen könnten. - Ganz nebenbei: Israels Atomwaffen könnten wahrscheinlich Deutschland auslöschen. - Netanjahu scheint das wirklich zu glauben.

Ich mag ein arroganter deutscher Gutmensch sein, der vom bequemen Sofa (ich sitze übrigens auf einem mehr oder weniger harten Stuhl) aus das Geschehen mit wohl gefülltem Bauch beobachtet. Aber ich weigere mich, den Iran als Dämon zu sehen.
Wären die Ayatollas wirklich so dämlich? Der religiöse Eifer hat sich verloren. Die jetzigen Machthaber verhalten sich ebenso hinterrücks und berechnend wie alle Politiker es tun. Sie setzen wirtschaftliche Interessen hoch an und wollen aus allem das bestmögliche für sich und ihrem Land herausschlagen. Teheran muss sich um ein internationales Ansehen bemühen, das es erlaubt, in der großen Politik mitzuspielen. Den Iranern, die unter den jahrelangen Wirtschaftssanktionen leiden, die innere Unzufriedenheit und staatliche Instabilität mit sich bringen, muss es ermöglicht werden, an weltweiter Bildung und Erfolgen teilhaben zu können. Würde der Iran die Einnahmen für den Staatshaushalt gefährden, die aus den wirtschaftlichen Verbindungen mit Israel resultieren - die durch Israel führende Eilat-Ashkalon-Ölleitung, die von einem iranisch-israelischen Konsortium gebaut wurde? 
Wenn Bibi davor warnt, ihnen nicht blindlings zu vertrauen, muss er auch vor sich selbst, dem Präsidenten der USA, unserer Kanzlerin ... warnen.

Es wird Zeit, dass Israel sich seiner wirklichen Bedrohung stellt. Diese ist nicht der Iran oder die Palästinenser. Sondern der IS, der bereits den Christen in Jerusalem die Vernichtung angedroht hat, oder die orthodoxen Siedler, die unter dem Schutz der israelischen Regierung Menschen verspotten und bedrohen und Olivenbäume auf palästinensischen Gebiet niederbrennen können.
Im Kampf für den inneren und äußeren Frieden sollte sich Israel wieder mit dem Iran verbünden, so wie einst vor der islamischen Revolution im Iran, als das Land der stärkste Verbündete in der Region war, oder damals, als Israel Waffen lieferte, im Kampf gegen Saddam Hussein.
Bibi sollte sich seine Worte zu Herzen nehmen: »Der Feind meines Feindes ist mein Feind.« Für Israel und Teheran ist der IS der gemeinsame Feind.


Chaim Weizmann, Zionist der ersten Stunde, sagte einmal: »Die Zukunft wird kommen und sich um die Zukunft kümmern.“
10 Jahre wird der Iran kontrolliert, dass nicht genug Atommaterial für eine Nuklearwaffe produziert werden kann. Was kann in 10 Jahren alles geschehen? Unsere Welt, wird dann nicht mehr die sein, die wir heute kennen: Regime werden gestürzt werden und neue werden geboren, Bündnisse werden aufgelöst und neu eingegangen, neue Bedrohungen werden auf uns zukommen und vielleicht erreicht es auch Teheran, dass selbst eine zivile Nutzung von Atomenergie nicht das gelbe vom Ei ist. Sogar Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich.

Das Einzige, was meine Hoffnung noch trübt, ist das 60-tägige Prüfrecht des US-Kongresses und die Haltung einiger Iraner. Es ist zu hoffen, dass Barak Obama es hinbekommt, dass die Parlamentarier das Abkommen nicht blockieren und Ali Chamenei die Kritiker in seinen Reihen auf Kurs bekommt.

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