Freitag, 19. Juni 2015

„schwei-schwei“ in Dana



 „Klein Nepal“ - das war das Erste, was mir in den Sinn kam, als wir über die Dächer von Dana Village geblickt hatten. Das Dorf, zentrale Station für den Öko-Tourismus im größten Naturschutzgebiet Jordaniens, liegt einsam eingebettet in Bergen. Eisiger Wind, der vom Hörensagen ähnlich in den Himalaya-Regionen schneidig weht, ein Gasthaus mit zugigem Versammlungsraum, spürbar nicht durch einen Ofen und ein beachtliches Ofenrohr gewärmt, mit steinernen Sitzbänken entlang der Wände mit rot-schwarz gemusterten Decken und Kissen und eine kleine asiatisch aussehende Frau, die uns Tee brachte und später das Essen servierte, verstärkten den Eindruck.
Ja, ihr habt richtig gelesen: eisiger Wind und dazu immer wieder Regen begleiteten uns während des Tages. Laut meinem Reiseführer »lonley planet - Jordanien« ist das Naturschutzgebiet Dana am schönsten im Frühjahr oder im Herbst, »der Winter kann bitterkalt werden.« Ich muss der sehr guten Autorin widersprechen: Der Frühling kann bitterkalt sein. Ich, ansonsten keine Frostbeule, ausgestattet mit Kleidung à’la »Jordanien liegt im Nahen Osten, da ist es warm.« hatte geschlottert.


Vor ca. 30 Jahren wurde das Dorf von seinen Bewohnern verlassen. Leichter zugängliche Ortschaften, in denen es Wohnungen mit Stromanschluss, Ärzten und Schulen und vor allem Arbeit gibt, gewannen den Kampf gegen Stille, umwerfende Landschaft und Einsamkeit. 4 Millionen Dollar hat es sich eine amerikanische Stiftung kosten lassen, dass Dana Village wieder aufgebaut wird. Die Organisation RSCN (Royal Society for the Conservation of Natur) betreut Projekte, die Menschen zurückholen und ein Einkommen verschaffen, ohne ihre traditionelle Lebensweise zu bedrohen.
Noch aber mutet Dana Village eher wie eine Filmkulisse an - der Hort von Träumen und Sehnsüchten. Die Menschen auf der staubigen Straße, die holprig einem steilen Abhang durch zerfallene Häuser und über einen ebensolchen staubigen Dorfplatz führt, wirkten auf mich wie Statisten. Das Dorfleben, das ich durch die milchigen oder zerborstenen Fenster des Restaurants, das zum ersten Haus am Platze, dem »Dana Tower« gehört, beobachten konnte, kam einem einstudierten Theaterstück für Touristen gleich: Familien begrüßten sich vor der Moschee. Mütter richteten die Kleider ihrer Kinder und strichen die Haare zurecht. Nach dem Gebet betraten Männer den Raum, in dem wir Tee tranken und auf unser Mittagessen warteten, rauchten, unterhielten sich und debattierten. An den zerfallenen Häusern wurden die Arbeiten wieder aufgenommen. Einer schleppte Wasserkanister, ein Anderer fuhr Felsbrocken in einer Schubkarre.
Das »wirkliche« Leben findet dem Auge nach nur beschränkt auf den Tourismus statt: moderne Schilder an Ruinen und bröckelnden Hausecken, die auf Hotels und Pensionen und geführte Wanderungen hinweisen. Die Natur erobert nach und nach die umliegenden Terrassenfelder zurück, auf denen Generationen zuvor Pistazien, Mandeln, Granatäpfel, Zitronen, Walnüsse und Äpfel anbauten.


Laut Reiseführern und -berichten ist Dana DAS Ziel schlechthin zum Wandern in Jordanien. Das Bioreservat erstreckt sich von den Sandsteinklippen bei Dana Village über 1.700 Höhenmeter bis zum Toten Meer. Um die etwa 600 Pflanzenarten, 180 Vogelarten und über 45 Säugetierarten zu schützen, ist es nur wenigen Beduinenfamilien und nur zu vorgegebenen Zeiten erlaubt, mit ihren Schafen und Ziegen durch die Felsmassiven und Täler zu ziehen.
Nach einem einfachen, frisch zubereiteten - da mit uns nicht gerechnet worden war - und köstlichen Mittagessen in dem kalten, spartanisch eingerichteten und trotzdem urgemütlichen Speiseraum, in den man über wacklige Treppen gelangt, traten auch wir eine Wanderung an.
Susi (Name geändert) zeigte mehr Weitblick, als ich ihn hatte. Nach wenigen Schritten auf dem Pfad, der in die wilde Berglandschaft führt, brach sie ab und verbrachte anders als ich einen entspannten Nachmittag. Ich quälte mich todbringenden Gefällen, die atemberaubende Panoramen boten, weißen und roten Felsen entlang. Laut der Reisebeschreibung von »Djoser« und Mahmoud waren für die Wanderung 2 Stunden angesetzt. Gefühlt hatte sie Tage und Nächte gedauert.

  










Ein ehemaliger Elitesoldat der jordanischen Streitkräfte war unser Guide. Chalid.
Ein Mann, so wie ihn sich die mit Felsen und engen Schluchten vollkommen überforderte 

Mitteleuropäerin vorstellt: stark, mutig und im Rucksack ein Kessel, Teebeutel und Zucker.
Er war bei Auf- und Abstiegen immer zur Stelle, half und redete gut zu. Sein „schwei-schwei“, arab. für ‚langsam’ und „here no doctor“ hallten noch Wochen in meinen Ohren. Und auch jetzt während des Schreibens. Ich muss auch grinsen, bei den Bildern von mir im Kampf gegen die Elemente. Ich glaube, ich hatte eine recht dämliche Figur abgegeben.
Auf einer kleinen Lichtung, im Schatten rot und ocker marmorierter Felsen, legten wir eine 

längere Pause ein. Chalid suchte nach trockenem Gestrüpp und baute aus Steinen und einem Ast eine Vorrichtung, an die er den Kessel hängte, aus dem nach geraumer Zeit verheißungsvoller Dampf stieg. An Entspannung war für mich aber nicht zu denken. Mir erschloss sich anders als meinen Mitreisenden nicht das Paradies, in dem wir uns befanden. Meine Gedanken hingen an steilen Abhängen, hohen, niedrigen und glatten Steinen, die noch auf dem Weg zwischen mir und unserem Bus zu bewältigen waren. Ich hegte bisweilen arge Zweifel, ob wir ihn tatsächlich irgendwann erreichen würden.
Doch dann hatte ich es hinter mir. Die fleischgewordene Pädagogin Urschl stellte die dümmste Frage, die jemand stellen kann, wenn ein anderer erschöpft und keuchend auf allen Vieren sein Ziel erreicht hat: „Wie fühlst du dich?“
Wenn ich mich nicht so dermaßen ausgekotzt gefühlt hätte, hätte ich ihr schon eine passende Antwort gegeben. Aber ich schmiss sogar meine Zigarette nach zwei Zügen weg und entgegnete ihr mit dem fränkischen ‚Wie bitte?’ – Übersetzung: „Hä?“
Sie war der Meinung, dass ich eine Herausforderung angenommen und etwas Großartiges geleistet hätte, auf das ich stolz sein könnte. Während des Monologs verlangsamte sich mein Herzschlag, die Schnappatmung ließ nach, der kalte Schweiß trocknete und ich gewann meine Sinne und meine Stimme zurück.
O-Ton: „Ich brauche keine Herausforderungen, die ich bewältigen kann. Ich bin mir selbst genug.“

P.S.: Ich bin kein grammatikalisches Genie und in diesem Post sehr unsicher betreffend "hatte" und "habe". Wenn ich die Zeiten also falsch angewandt habe, bitte ich um Verzeihung und ggf. um einen Hinweis, wie's richtig gehört.

2 Kommentare:

  1. Wow tolle Bilder Julia! Ich hab irre Respekt vor den glatten Felsen... und vor Dir. Was gabs den für Tee? Oder hast Du gar nicht probiert?
    ich drück Dich, Tina

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  2. Klar hab ich probiert. Es gab schwarzen Tee.
    An den Teestationen gab es meistens schwarzen Tee pur oder mit Gewürzen oder Minztee.

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